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Burkhard Jung und Clemens Schülke im Interview

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auf der rechten und linken Seite ist jeweils ein Mann abgebildet und in der Mitte stehen ihre Zitate

In einem Doppelinterview mit der SAS blicken Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, und Clemens Schülke, Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung Leipzig, auf die anstehenden Herausforderungen des Strukturwandels für die Messe- und Bachstadt sowie das umliegende Mitteldeutsche Revier…

 

Als Oberbürgermeister der Stadt Leipzig sind Sie auch Mitglied des Regionalen Begleitausschusses (RBA) des Mitteldeutschen Reviers. Wie fällt lhr Fazit aus, wenn Sie auf die Monate seit der Einigung auf den sogenannten Kohlekompromiss blicken?

 

Burkhard Jung: Die Umsetzung des Strukturstärkungsgesetzt unter Einbeziehung der Akteure ist eine umfassende Aufgabe. Um sie zu erfüllen wurden in Sachsen komplexe Strukturen aufgebaut und mit der Umsetzung begonnen. Das zeigt sich z. B. anhand des schnellen Starts der Pilotprojekte, der zeitnahen Erarbeitung der Förderrichtlinien und der raschen Einrichtung der Gremien. Kritisch sehe ich die fehlende länderübergreifende Anbindung an die Europäische Metropolregion Mitteldeutschland.

 

 

Herr Schülke, nun wird Strukturwandel in den deutschen Kohlerevieren eher weniger mit einer Metropole wie Leipzig in Verbindung gebracht. Können Sie uns erläutern, wo genau in Leipzig der Strukturwandel sich bemerkbar macht?

 

Clemens Schülke: Zum einen ist Leipzig unmittelbar vom Strukturwandel betroffen, da viele Mitarbeiter der Braunkohleindustrie ihren Wohnsitz in Leipzig haben. Zum anderen, spüren Unternehmen der Zuliefererindustrie, von denen in Leipzig mehrere vertreten sind, längst rückläufige Auftragszahlen. Ebenso machen der Großindustrie wie z. B. den Leipziger Gießereien die steigenden Energiekosten zu schaffen und verschlechtern ihre Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten. Auf diese Art und Weise ist Leipzig unmittelbar vom Strukturwandel betroffen, auch wenn keine Kohle im Stadtgebiet abgebaut wird.

 

 

Eine Metropole hat, ganz andere Probleme zum Thema Strukturwandel zu bewältigen, als eine kleine ländliche Gemeinde. Wie kann es gelingen, bis 2038 für alle diese unterschiedlichen Bedürfnisse Lösungen zu finden, Herr Jung?

 

Burkhard Jung: In Zukunft werden die ländlichen Regionen mit den Zentren Leipzig und Halle stärker zusammenwachsen. Entscheidend dafür ist u. a. eine bessere Verkehrsanbindung der ländlichen Regionen. Der Ausbau des mitteldeutschen S-Bahn-Netz wird einen wesentlichen Beitrag hierfür leisten. Mit dieser Maßnahme und weiteren Projekten im Bereich Infrastruktur und darüber hinaus, soll es gelingen die Lebensqualität der gesamten Region zu erhöhen und Arbeitsplätze sowohl in den Zentren aber auch in den umliegenden Regionen zu halten, zu schaffen und erreichbar zu machen, was wiederum auch der Stadt Leipzig zu Gute kommt.

 

 

Wollen Sie, Herr Schülke, hier in Leipzig spezielle Schwerpunkte im Strukturwandel setzen? Wenn ja, welche sind das?

 

Clemens Schülke: Stärken stärken, das ist unser Ziel. Die Stadt Leipzig setzt auf die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze auf akademischer und nicht akademischer Ebene in den Zukunftsfeldern Biotechnologie, Medizintechnik sowie Medizindienstleistungen, Automotive und IT. Auch die Bildung spielt eine zentrale Rolle. Sie bildet die Grundlage für innovative Gründer und gut ausgebildete Fachkräfte.

 

 

Natürlich ist der Strukturwandel eine gigantische Aufgabe und die Menschen in beiden Revieren haben durchaus die Sorge, ob es gelingen wird, ihn erfolgreich zu gestalten. Was ist aus Sicht des Oberbürgermeisters der Stadt Leipzig entscheidend dafür, dass wir 2038 auf rund zwei erfolgreiche Jahrzehnte zurückblicken, die den sächsischen Revieren eine tolle Zukunft eröffnen?

 

Burkhard Jung: Entscheidend wird sein, ob es gelingt das Revier nachhaltig und im gesellschaftlichen Konsens auf einen positiven wirtschaftlichen Wachstumspfad auszurichten. Die Erreichung der drei zentralen Ziele – Begeisterung, Gestaltung und Umsetzung der Regionalentwicklung – wird ausschlaggebend sein und zeigen, ob es gelungen ist, den Strukturwandel zu meistern statt ihn hinzunehmen oder gar zu übersehen.

 

 

Herr Schülke, kürzlich gab es in der Landeshauptstadt Dresden einen flachendeckenden Stromausfall. Eine der direkten Folgen war, dass den Menschen vor Augen geführt worden ist, wie sehr man von Strom abhängig ist – im privaten Umfeld, aber vor allem auch in der Industrie, den Krankenhäusern, dem Nahverkehr – einfach überall. Unter anderem in den sozialen Netzwerken kursierten dann schnell Wortmeldungen, dies sei ein Vorgeschmack auf 2038, wenn die Kohleverstromung ende. Wie glauben Sie, dass Sie Leipzig bis 2038 aufstellen können, um den Ausstieg wirklich umsetzen zu können, ohne dass der Strom knapp wird?

 

Clemens Schülke: Die Kolleginnen und Kollegen der Leipziger Stadtwerke arbeiten intensiv daran, die Stromerzeugung sowohl auf der Basis von Erdgas-Kraft-Wärme-Kopplung aber auch auf Basis regenerativer Energien deutlich stärker in und für Leipzig auf die Beine zu stellen. Leipziger Stromversorgung bleibt aber eng verknüpft mit der gesamtdeutschen Versorgungslage. Die Stadt Leipzig hat sich bereits 2018 entschieden, die Wärmeerzeugung von der Braunkohle abzukoppeln. Wichtig ist, vor einer Abschaltung von Kohlekraftwerken für Ersatz zu sorgen, am besten durch erneuerbare Erzeugungskapazitäten. Das ist aber ein weiter Weg. Bis dahin kann auch Erdgas als ein umweltfreundlicherer Energieträger auf Kohlenstoffbasis eine wichtige Rolle spielen. Perspektivisch jedoch mehr und mehr ergänzt durch grünen Wasserstoff.

 

 

Herr Jung, wenn Sie sich vorstellen, dass Sie 2038 durch Leipzig und das Umland spazieren, wie soll es lhrer Meinung nach aussehen?

 

Burkhard Jung: Bei einem Spaziergang durch das Leipziger Umland 2038 wünsche ich mir durch Bergbaulandschaft zu gehen, in der die Natur in aller Vielfalt und Diversität erlebt werden kann. Ich wünsche mir, dass die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Leipzig, der umliegenden Kommunen und ihre Gäste die verloren geglaubten Landschaften zurückerobern. Ich sehe eine lebenswerte Region mit einer prosperierenden Wirtschaft, Kultur, Bildung, Wissenschaft und Naherholungsgebieten.

 

 

In erster Linie wird Strukturwandel mit Arbeitsplatzschaffung und -sicherung verbunden. lst es aber nicht auch so, dass man – wenn man diesen langwierigen Prozess betrachtet – beispielsweise die Bedürfnisse der Jugend in den Fokus setzen muss, damit es gelingt, den Wegzug aus dem Umland zu verhindern, Herr Schülke?

 

Clemens Schülke: Der Prozess der Bewältigung des Strukturwandels zielt ja darauf ab, heute die Weichen für zukünftige Generationen zu stellen, damit auch sie lebenswerte Bedingungen vorfinden. Dabei spielen die angesprochenen Arbeitsplätze eine entscheidende Rolle. Aber zur Lebensqualität gehört weitaus mehr, wie z. B. intakte Natur, soziale Stabilität und ein familienfreundliches Umfeld.

 

 

Vielen Dank, Herr Oberbürgermeister Jung und Herr Schülke, für das Doppelinterview.

 

 

Bildquelle Portraits: Stadt Leipzig