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Interview mit Landrat Henry Graichen
Kurz vor der 5. Sitzung des Regionalen Begleitausschusses (RBA) für das Mitteldeutsche Revier, die am 14. Juni 2023 in Schkeuditz stattfindet, stand Henry Graichen, Landrat des Landkreises Leipzig und RBA-Vorsitzender, der SAS für ein kurzes Interview zur Verfügung.
Der Sommer rückt näher und der letzte RBA im November liegt inzwischen mehr als ein halbes Jahr in der Vergangenheit. Sie schauen sicherlich auf arbeitsreiche Monate zurück, auch was Ihre Aufgaben als RBA Vorsitzender betrifft. Was hat sich in den letzten Monaten getan?
Wir konnten in den letzten zwölf Monaten mehrere Industrie-Ansiedlungen erreichen, alle haben großes innovatives Potential. Im Industriepark Böhlen-Lippendorf wird EDL die weltweit erste industrielle Anlage errichten, die mit grünem Strom nachhaltiges Kerosin herstellt. Mit einem Volumen von 700 Mio. Euro soll Treibstoff für Flugzeugturbinen hergestellt werden, der ohne Erdöl auskommt. Der Anlagenbauer EDL kooperiert mit dazu mit Luftfrachtunternehmen am Flughafen Leipzig-Halle. Ab 2026 soll mit etwa 100 Mitarbeitern produziert werden. Weitere 500 Arbeitsplätze werden im Bereich Serviceleistungen erwartet.
Ebenfalls in Böhlen-Lippendorf soll in den nächsten Jahren eine Anlage zur Wiederaufbereitung von Kunststoff entstehen. Die größte Anlage in Europa soll 120.000 t Kunststoffabfälle jährlich über ein chemisches Verfahren in Kunststoffgranulat zurückverwandeln. Für einen dreistelligen Millionenbetrag errichtet das britische Unternehmen Mura Technology eine Recyclingstrecke mit Lagerhalle. Mindestens neue 100 Arbeitsplätze werden auf dem Gelände der DOW entstehen.
Jährlich 12 Mio. Superkondensatoren will Skeleton Technologies aus Estland künftig in Markranstädt herstellen. Dazu investiert das Unternehmen rund 220 Mio. Euro und schafft 240 Arbeitsplätze. Über eine Technologiepartnerschaft mit Siemens sollen die Produktionskosten massiv gesenkt werden. Die Fertigung der Energiespeicher soll bereits 2024 starten.
In Borna soll ab 2025 Wasserstoff produziert werden. Das Hamburger Unternehmen HH2E will für 250 Mio. Euro auf dem Gelände des ehemaligen Kraftwerks Thierbach mehrere Elektrolyseure und Batteriespeichereinheiten errichten. Aktuell laufen hier die planungsrechtlichen Vorbereitungen.
Sie hatten zum Jahreswechsel ein ausführliches Interview gegeben, um Ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Zwischenstand bezüglich des Strukturwandels zu geben und haben ausgeführt, dass Sie das Mitteldeutsche Revier auf einem guten Weg sehen. Woran können Sie dies ablesen und woran die Menschen der Region, die vermutlich nicht alle ganz tief in der Thematik drin stecken, aber interessiert daran sind, wie es mit ihrer Heimat weitergeht?
Die genannten Investitionen werden sich in der Region bemerkbar machen. Es handelt sich um hochwertige Industriearbeitsplätze, die neu geschaffen wurden, alle mehr oder weniger im „grünen Bereich“. Es sind alles neue Technologien, die jetzt gebraucht werden. Es ist genau der Innovationsschub, den wir im Strukturwandel anstreben müssen. Diese neuen Technologien stärken die Mitteldeutsche Region, sie können auch für Deutschland wegweisend sein.
Solch ein weitreichender Transformationsprozess wie der Strukturwandel ist selbstverständlich nichts, was über Nacht erfolgreich abgeschlossen wird und problemlos von A bis Z durchläuft. Sie als Vorsitzender des RBA, wo erkennen Sie Schwachpunkte, die Sie – auch mit Blick auf das nahende Ende der ersten Förderperiode – im Schulterschluss mit dem Freistaat angehen wollen?
Wir müssen die exakte Abgrenzung der Förderperioden (bis 2026 und bis 2032) und der nicht möglichen Übertragbarkeit der Strukturmittel dringend ändern! Insgesamt benötigen die Förderprogramme zu viele Abstimmungen und Vorprüfungen. Das lähmt die Akteure und nimmt den Schwung raus.
Wenn wir jetzt den Blick auf die im Juni anstehende 5. Sitzung des RBA richten, was steht neben der Befassung mit neuen Vorhaben im Blickpunkt dieser Runde?
Im Juni wollen wir auch mit den Projekten befassen, die bereits gefördert wurden. Dabei geht es um die Begleitung der Landesprojekte wie das KI Rechenzentrum an der Uni Leipzig, das mit 50 Mio. Euro eingerichtet wurde. Hier wollen wir eine erste Bewertung vornehmen im Sinne: Was hat das Projekt bewirkt, was ist der Mehrwert für die Wirtschaft und die Unternehmen.
Zuletzt war häufig davon zu lesen, dass der Strukturwandel anhand gewisser Schwerpunkte erfolgreich umgesetzt werden soll. Welche sind das und was darf die Region sich davon erwarten?
Wir haben uns den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft zu Ziel gesetzt, das heißt wir brauchen Produzenten und Abnehmer. Vorrausetzung ist zudem, dass genügend erneuerbare Energie zur Verfügung steht, um diesen „grün“ zu produzieren. Dann brauchen wir die Infrastruktur, um den Wasserstoff vom Erzeuger zum Verbraucher zu transportieren. Wasserstoff als neuen Energieträger etablieren, ist komplex. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Unternehmen, die überzeugt in Wasserstoff investieren. Diese technische Innovation kommt uns früher oder später zu gute.
Verfolgt man das Thema Strukturwandel nicht nur im Freistaat sondern auch über dessen Grenzen hinweg, nimmt man Sie sehr stark als ruhenden Pol wahr, der nicht müde wird, für das Mitteldeutsche Revier im Gesamten den Prozess erfolgreich zu lenken und zu betreiben. Wie gelingt es Ihnen, die Belange der beiden Landkreise und der Stadt Leipzig so geschlossen hinter dem Projekt „Strukturwandel“ zu vereinen?
Der Strukturwandel ist kein Sprint sondern ein Dauerlauf. In 18 Jahren haben wir die Chance das Mitteldeutsche Revier von einer „kohlegeprägten Region“ zu einem nachhaltigen Industrie- und Dienstleistungsstandort zu entwickeln. Dabei hilft uns die Strukturförderung unsere Region in der wirtschaftsnahen und sozialen Infrastruktur wettbewerbsfähiger zu machen. Dieses Langfristziel eint die Partner im Mitteldeutschen Revier.
Vielen Dank, Herr Landrat!