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Interview mit Dr. Johannes Staemmler
Als Forschungsgruppenleiter des Projekts „Sozialer Strukturwandel und responsive Politikberatung in der Lausitz“ ist Johannes Staemmler mit der demokratischen Ausgestaltung des Strukturwandels und der darin liegenden Potenziale beschäftigt. Mit ihm haben wir über das Lausitzer Revier gesprochen…
In einem Interview mit der dpa erklärten Sie kürzlich, der Strukturwandel im Rahmen des Kohleausstiegs sei – auch verglichen mit den Umbrüchen der Nachwendezeit – kein gesellschaftsgefährdendes Unterfangen, sondern planbar und finanziell unterfüttert. Können Sie uns das noch etwas weiter ausführen?
Erstens sind Größenordnungen der Veränderungen andere. Während in den 1990ern zehntausende Jobs verloren gingen, werden sich jetzt einige tausend Arbeitnehmer*innen umorientieren müssen. Auch ist die Wirtschaftsstruktur schon heute viel diversifizierter als damals. Zweitens sind sehr viele Lausitzer*innen wandelerfahren und bereit, sich den neuen Herausforderungen auch zu stellen. In unserem Buch „Wir machend das schon“ portraitieren wir Menschen in und aus der Lausitz, die aus vergangenen Erfahrungen viel Energie für die Zukunft ziehen. Drittens sind die Rahmenbedingungen des Bundes und der Länder vorteilhafter als damals. Es stehen Mittel zur Verfügung, mit denen mehr als nur der Substanzerhalt bewerkstelligt werden kann. Und darüber muss man streiten, denn es geht schließlich um verschiedene Wege, die in der Lausitz verfolgt werden können.
Spielt in Ihren Überlegungen auch eine Rolle, dass die nun vom Kohleausstieg betroffenen Regionen durchaus davon lernen können, wie ähnliche Strukturwandelprozesse beispielsweise im Ruhrgebiet und Saarland bereits (erfolgreich) vollzogen werden konnten?
Das kann man versuchen, aber jeder Wandel wird als unmittelbar und konkret vor Ort erlebt. Austausch über den eigenen Kontext hinaus ist immer gut zur Inspiration und weil dadurch die Gewissheit wächst, dass man nicht allein vor diesen Herausforderungen steht.
Sie sprechen von einer in der Lausitz vorhandenen Grundskepsis. Nun gibt es inzwischen zahlreiche Bürgerbeteiligungsformate, aber die Menschen in den betroffenen Regionen haben weiterhin das Gefühl, dass ihre Bedürfnisse, Wünsche und Meinungen keine Relevanz hätten und über sie hinweg entschieden wird. Wie kann man diese Skepsis aufbrechen und zu einer Aufbruchsstimmung umwandeln?
Wer die 1990er erlebt hat, hat allen Grund skeptisch zu sein. Auch wenn man sieht, wie langsam die Energiewende vollzogen wird, ein Flughafen gebaut wird oder eine Bahnstrecke entsteht, dann darf man begründete Zweifel haben, dass die Dinge so kommen, wie sie angekündigt werden. Aufbruchstimmung entsteht ohnehin nicht, wenn ein Projekt gelingt, sondern wenn so genanntes Ownership daran in der Region entsteht. Wenn Sie ins Kühlhaus nach Görlitz oder ins Telux nach Weißwasser gehen, dann spüren Sie diese Stimmung, weil die Menschen vor Ort Dinge selber in die Hand nehmen (können). Beteiligung heißt, nicht mal nur darüber reden oder informiert werden, sondern ernsthaft, langfristig und wirksam eingebunden zu werden.
Sie sagten einmal „die Lausitzer*innen müssen sich über die Verwendung der Strukturwandelmittel streiten dürfen“. Bis zu welchem Punkt ist Diskussion und Streitkultur noch förderlich für den Prozess und ab wann schadet es und dividiert die Region eher auseinander?
Streit ist Demokratie, insbesondere wenn er in friedlichen Bahnen verläuft. Die Brandenburger haben Werkstätten eingerichtet, in denen über konkrete Projektvorschläge gestritten wird. Das ist transparent und sinnvoll, auch wenn nie alle zufrieden sind. Es wurde ein Rahmen gesetzt, der diesen Streit ermöglicht. Dazu gibt es einen Sonderausschuss im Landtag und einige weitere Gremien zur Beteiligung. Wenn es keine Streitkultur gibt, dann werden alle möglichen Konflikte vermischt und auf die Straße getragen. Und dort ist Diskurs nur sehr schwer möglich.
Wie sehen Sie unter dem Eindruck dieser sowieso schon vorhandenen Skepsis die Thematik eines vorgezogenen Kohleausstiegs? Was würde das aus Ihrer Sicht gesellschaftlich für die vom Kohleausstieg stark betroffenen Regionen bedeuten?
Ein vorgezogener Kohleausstieg ist vor allem eine Chance, weil die Lausitz schon heute über einen starken Fachkräftemangel verfügt. Die Zukunft der Lausitz ist nicht gefährdet, weil der Strom aus anderen Quellen kommen wird, sondern weil es zu wenig Menschen gibt, die in neuen Branchen arbeiten. Je länger die Kohle läuft, desto länger wird auch der Strukturwandel dauern. Ich sehe durchaus die Gefahr, dass die Verhandler*innen und Anhänger*innen des Kohlekompromisses enttäuscht sein werden, aber letztendlich geht es auch ihnen um gutes Leben in der Zukunft für sich und ihre Kinder und da setzt der Wandel ja direkt an.
Interessanterweise kann man den Eindruck bekommen, dass sich die nachwachsende Generation offener für diese Prozesse zeigt und als die Generation, die den Strukturwandel entscheidend prägen kann, um Regionen nach den eigenen Vorstellungen zu entwickeln, auch den Willen hat, sich einzubinden. Nehmen Sie das auch so wahr?
Ich sehe vor allem die Generation der zwischen 1970 und 1990 geborenen (man kann sie auch Dritte Generation Ostdeutschland nennen), die jetzt Verantwortung übernehmen. Sie wissen um die Sensibilitäten, die mit den Brüchen der 1990er zusammenhängen. Sie haben aber auch den Mut, Neues zu wagen. Sie werden gerade Bürgermeister*innen, Unternehmer*innen, Wissenschaftler*innen u.v.a.m. Wenn die den Strukturwandel gestalten, mache ich mir keine Sorgen. Und in ein paar Jahren kommt eine ganz neue Generation, die mit noch mehr Elan in die Zukunft will.
Strukturwandel ist für viele Menschen gleichbedeutend mit dem Schaffen neuer Arbeitsplätze. Will man den Strukturwandel allerdings erfolgreich gestalten, gehört dazu doch viel mehr: Infrastruktur, Kultur, Wissenschaft, soziale Komponenten und Themen wie die Versorgung in Gesundheits- oder auch Altersfragen. Wie steht es Ihrer Meinung nach um diese Bedingungen in der Lausitz?
Strukturwandel auf die Schaffung von Industriejobs zu verkürzen ist nicht hilfreich. Es geht doch um Veränderungsprozesse, die viele Lebensbereiche betreffen. Wir brauchen die Wissenschaft u.a. in Cottbus, um qualifizierte junge Leute und Ideen hervorzubringen ebenso wie Kultur und Kunst, um die Gegenwart immer wieder deuten zu können. Digitale Gesundheitsversorgung wird sich ebenso durchsetzen wie andere Pflege- und Mobilitätsansätze. Das ist der Wandel, der mit dem Kohleausstieg nichts zu tun hat, sondern der ohnehin stattfindet. In der Lausitz haben die Akteure und die Menschen jetzt die Chance, sich auf diese Neuerungen einzulassen. Dann bleiben auch die Enkel und die Kinder kommen zurück.
Kann es denn gelingen, abseits der großen Ballungsräume eine Lausitz zu entwickeln, in der die Menschen gerne leben und vor allem auch sich dauerhaft ansiedeln? Oder muss man sich diesen Metropolen geschlagen geben und akzeptieren, dass die nachwachsende Generation über kurz oder lang abwandern wird?
Metropolen bleiben immer attraktiv, die ländliche Lausitz aber auch. Es muss nur viel besser gelingen, junges und weltoffenes Leben auch im ländlichen Raum zuzulassen und zu fördern. Es wandern ja nie die ganze Generation ab und es kommen auch immer wieder neue Menschen in die Region, weil die Lausitz ein von Migration geprägter Landstrich ist. Und DIE LAUSITZ gibt es so nicht, sie ist vielfältig und deswegen auch unterschiedlich attraktiv.
2038 ist noch eine ganze Weile hin und alle Seiten betonen immer wieder, dass solch ein Wandel seine Zeit braucht. Wenn Sie sich aber vorstellen, 2038 für ein erneutes Buchprojekt durch die Lausitz zu radeln, wie wird die Region Ihrer Meinung nach aussehen?
Dann hoffe ich, dass ich als dann 56-Jähriger auf junge Leute treffen, die ganz selbstverständlich digital, weltverbunden und regional verankert leben. Ich treffe dann immer wieder auf Reisende, die mit Zug, Rad oder Camper durch eine Transformationslandschaft fahren, die zum Bleiben einlädt – sozial, kulturell und landschaftlich. Wenn ich frage, wofür dann Klein Priebus, Kamenz oder Zittau steht, dann weiß jeder eine andere positive Geschichte zu erzählen. Denn in 20 Jahren wird dann auch bekannt sein, was heute schon gilt – die Lausitz ist vor allem eines: vieles!
Wir bedanken uns für das Gespräch, Herr Staemmler.