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Jugend im Strukturwandel: Interview mit Hannah Heger

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Es ist Frau Heger abgebildet und links neben ihr ist ein rosa Zitat von ihr abgebildet.

Hannah Heger ist Projektmitarbeiterin beim Kinder- und Jugendring Landkreis Leipzig e.V. und dort für das Projekt CHANCE4CHANGE – Jugend gestaltet den Wandel mitverantwortlich. Der Hauptinhalt des Projekts ist die aktive Einbindung von Kindern und Jugendlichen in den Strukturwandelprozess im Mitteldeutschen Revier.

 

Im Interview mit der SAS berichtet Hannah Heger darüber welche Impulse hierfür nötig sind und wie sich junge Menschen, die den Strukturwandel in den kommenden Jahren am stärksten zu spüren bekommen werden, an das allumfängliche Thema annähern.

 

 

Unter der Überschrift „Jugend debattiert über den Kohleausstieg“ haben sich Mitte Juni einige Vertreter unterschiedlicher Jugendgruppen zusammengeschlossen. Wer genau ist bei Ihnen organisiert und wie viele Jugendliche bringen sich aktiv ein?

 

Wenn man es an Zahlen festmachen möchte, dann stehen wir noch ganz am Anfang des Projektes, deshalb lässt sich diese Frage so noch nicht beantworten. Derzeit warten wir auf die Bewilligung unseres STARK-Förderantrags, den der Kinder- und Jugendring Landkreis Leipzig gestellt hat, und werden dann intensiv einsteigen, die Jugendlichen dort abzuholen, wo sich ihre Interessen mit unserem Vorhaben, sie in den Strukturwandelprozess zu integrieren, treffen. Auf Basis von Workshops, die wir im Frühsommer abgehalten haben, gibt es erste Kontakte zu Jugendlichen, vor allem haben wir schon Themen heraus kristallisieren können, die für die jungen Menschen in der Region relevant sind. Wir gehen davon aus, dass wir ab dem 4. Quartal dieses Jahres dann in die aktive Arbeit mit den unterschiedlichen Gruppen einsteigen können.

 

 

Sie sprechen davon, dass sich bereits Themen herauskristallisiert haben. Welche sind das?

 

Nun ja, man muss einfach festhalten, dass der Strukturwandel für alle gesellschaftlichen Schichten, aber eben auch für alle Altersgruppen eine große Relevanz hat. Bisher ist es allerdings so, dass die Interessen der jungen Generationen nicht die Berücksichtigung gefunden haben, die wir uns wünschen. Auch die Belange derjenigen, die sich gerade zum Beispiel in Kohlebetrieben ausbilden lassen. Wir glauben, dass ein wichtiger Baustein der Zukunft der Region, auch in politischer Hinsicht, sein muss, den jungen Leuten Perspektiven aufzuzeigen. Ihnen auch zu zeigen, dass wir ihre Belange und ihre Interessen im Blick haben und insbesondere, dass sie die einmalige Chance haben, an einem Gestaltungsprozess mitzuwirken. Vor allem für Letzteres wollen wir den Jugendlichen Mut machen und eine Sensibilisierung für die Themen des Strukturwandels schaffen, denn die sind ja näher an unser aller Alltag, als viele vielleicht denken.

 

Die Visionen der jungen Menschen werden wir noch detailliert mit ihnen erarbeiten, bisher haben Themen wie Freiräume zum selbstbestimmten Gestalten und Aufhalten, Mobilität und Wohnraum in jedem Fall eine Rolle gespielt.

 

 

Sie nehmen also quasi eine Lücke im System wahr?

 

Ja. Aber das ist, so unser Eindruck etwas, was beidseitig bedingt ist. Auf der einen Seite hat sich die Politik scheinbar noch nicht so sehr damit auseinander gesetzt, welche Bedürfnisse die Jugend hat, wo sie ihre Zukunft sieht und was es braucht, damit sie in der Region bleibt. Auf der anderen Seite wissen die Jugendlichen wiederum gar nicht, welche Projekte die Politik für sie bereits auf die Bahn gesetzt hat oder welche Visionen vorhanden sind und was geplant ist. Da fehlt es noch an einem Miteinander, einer zugänglichen Transparenz und einem Verständnis für die Belange und das Denken des jeweils anderen. Einem politischen Willen muss dann auch das Handeln und entsprechende Angebote folgen. Und genau in dieser Lücke sehen wir unser Wirken.

 

Teilweise ist die Eltern- und Großelterngeneration der heutigen Jugendlichen noch mit den Wirren und Veränderungen des Strukturwandels nach dem Umbruch 89/90 beschäftigt. Wir dürfen nicht vergessen, dass Biografien Brüche erfahren haben und Identitäten verloren gegangen sind. Damit die Heranwachsenden nicht in negative Denkschemen geraten, müssen sie bestmöglich, pro-aktiv und frühzeitig in den Strukturwandel integriert werden.

 

 

Wie genau wird Ihr Handeln aussehen? Welche Projekte und Formate schweben Ihnen da vor?

 

Wir werden insbesondere ein von jungen Leuten, wir sprechen vor allem 14- bis 27-Jährige an, mitgestaltetes Workshop-Angebot realisieren. Ein weiterer entscheidender Projektteil sind Zukunftswerkstätten. In deren Rahmen greifen die Teilnehmenden Mängel und Probleme auf,um Visionen und konkrete Projektideen zu entwickeln. Daraus sollen bestenfalls auch Projekte entstehen, die die Jugendlichen mit Unterstützung eigenständig umsetzen können. Dafür wird es auch finanzielle und politische Unterstützung brauchen.

 

Zentraler Ort wird die „Alte Rollschuhbahn“ in Bad Lausick sein. Als schon bestehender Anlaufpunkt für junge Menschen werden wir den Ort als „Zukunftslabor“ etablieren. Alles soll unter dem Motto „Jugend gestaltet den Wandel“ laufen, wir werden ganz praktische Themen, aber auch viele Aspekte im Kontext von Umweltschutz und Nachhaltigkeit aufgreifen. Schließlich sind das die Themen, die bei der jungen Generation polarisieren.

 

 

Inwiefern?

 

Teilweise gehen die Ansichten und Perspektiven an den Schulen weit auseinander. Die einen engagieren sich beispielsweise sehr stark für die Belange des Klimawandels, sind möglicherweise bei „Fridays for Future“ aktiv. Und andere beginnen womöglich eine Ausbildung bei der MIBRAG oder ähnlichen Betrieben. Wir wollen mit unserer Arbeit dafür sorgen, dass hier keine Wände entstehen, sondern wollen Austausch und Verständnis fördern, sozusagen eine Schnittstelle sein. Zwischen den jungen Leuten selbst, aber eben auch zwischen ihnen und der Politik.

 

Als Zukunftslabor werden wir Raum zum Experimentieren und sich Ausprobieren schaffen, bestenfalls entstehen im Kleinen tolle Projekte, die in größere Kontexte im Landkreis und darüber hinaus adaptierbar sind.

 

 

Sie sprachen an, dass Sie bisher die Interessen der Jugend bei den Projekten des Strukturwandels nicht so ausgeprägt sehen, wie es vielleicht sinnvoll wäre, um diese Altersgruppe in der Region zu halten. Wo genau sehen Sie da Handlungsbedarf?

 

Wenn man sich beispielsweise anschaut, was im Neuseenland geschaffen worden ist, ist das aus dem Blickwinkel des Tourismus sicherlich gelungen. Zurecht darf und soll die Region stolz auf diese Naherholungsgebiete direkt vor der eigenen Tür sein. Aber es fehlt an vielen Stellen an Möglichkeiten, dass die jungen Leute ihre Freizeit sinnvoll und mit Spaß ebenfalls dort verbringen können. Für sie fehlt es da zum Beispiel eher an Grillplätzen, Naturcamps und vor allem auch nicht-kommerziellen Sport- und Freizeitmöglichkeiten.

 

Ein weiterer Punkt, der ebenfalls dringend gelöst werden muss, ist die breite Anbindung der Orte an den ÖPNV. Momentan ist es so, dass viele Jugendliche abends zu Fuß oder mit dem Rad von Ort zu Ort unterwegs sind, um nach Hause zu kommen, weil keine Busse mehr fahren. Hier kann der Jugend mit attraktiven Lösungen entgegen gekommen werden.

 

 

Was wäre Ihrer Meinung nach denkbar, um die Jugendlichen zu erreichen?

 

Wir werden an die schon vorhandenen Strukturen und Angebote anknüpfen. Gleichzeitig scheint es ein Thema zu sein, dass bisherige Projekte nicht immer den Leuten vor Ort auch bekannt sind. Die Idee einer digitalen Plattform für Kultur-, Freizeit und Beteiligungsformate beziehungsweise Veranstaltungen könnte ein konkretes Projekt sein.

 

In Richtung Politik und Wirtschaft mangelt es in unseren Augen an direkter Kommunikation und niedrigschwelligen Informationsangeboten. Von entscheidender Bedeutung wird hierbei sein, dass wir eine Kontinuität in die Kommunikation bringen. Dass Ideen erarbeitet und in die Politik getragen werden und dann der Strom des Austauschs endet, darf nicht passieren. Das würde nur für Frust und Misstrauen sorgt. Die jungen Menschen sind aber durchaus gewillt zu zeigen, dass ihnen ihre Zukunft am Herzen liegt und sie sich einbringen wollen. Deshalb ist ein steter Austausch wichtig.

 

 

Sie sprachen an, dass es Ihrer Wahrnehmung nach vielen jungen Menschen, die vor dem Sprung ins Berufsleben stehen, an Informationen fehlt, welche Berufe in der Region zukunftsfähig sind.

 

Das ist in der Tat so. Die Region hat nun mal in erster Linie eine Historie, in der der Tagebau und die damit verbundene Industrie zu finden sind. Das wurde von Generation zu Generation weitergetragen. Die neuen Perspektiven, um die die Politik im Rahmen des Strukturwandels ringt, diese sind einfach noch nicht in der Breite der Bevölkerung bekannt. Das kann auch Teil unseres Projektes sein, neue und innovative Berufszweige vorzustellen, die es in der Region bereits gibt oder sich im Aufbau befinden. Dazu gehört auch, sich der Tatsache zu stellen, dass es Berufe gibt, die komplett von der Bildfläche verschwinden werden, auch wenn diese die Region geprägt haben.

 

Aber neben der beruflichen Zukunft geht es uns auch sehr um die Alltagsgestaltung, Freizeit und sich wandelnde Lebens-, Wohn- und Wirtschaftsformen. Wir wollen alternative, bedürfnisorientierte gemeinschaftliche und nachhaltige Lösungen und Ideen erarbeiten. Rausfinden, was die jungen Menschen und Schulabgehenden beschäftigt.

 

 

Sie sind nun aktiv im Landkreis Leipzig, also im Mitteldeutschen Revier. Stehen Sie im Austausch mit Gruppierungen anderer Strukturwandelregionen?

 

Ja, wir stehen zum Beispiel bereits im Austausch mit dem Projekt #Mission2038 aus der Lausitz und werden unser Netzwerk natürlich auch weiterspinnen. Tatsache ist ja, dass wir nicht bei allem das Rad neu erfinden müssen. Andere Regionen Deutschlands haben bereits solche Phasen des Wandels erfolgreich gemeistert, da können wir sicherlich von lernen und vom Erfahrungsschatz anderer profitieren, Dinge auf die Bedürfnisse unserer Region anpassen.

 

Wir sind auch in Kontakt mit dem Aktionskreis Strukturwandel Leipziger Land, in dem sich lokale Menschen verschiedener Berufe und Alters selbst organisieren und sich für einen bedürfnisorientierten, kreativen und solidarischen Strukturwandel engagieren. Es gibt mittlerweile einige Initiativen, die den Strukturwandel aufgreifen und wir denken eine gute Vernetzung ist das A und O um lokal sinnvoll zu handeln.

 

Letzten Endes hoffen wir, dass unser Engagement ein Modellprojekt mit Strahlkraft in andere Landkreise und Regionen Deutschlands sein kann. Schließlich ist die Jugend generell, also nicht nur bei uns, eine entscheidende Zielgruppe des Strukturwandels.

 

 

Liebe Hannah Heger, vielen Dank für das Interview!