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Mühlrose: Ein Ort verschwindet

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Luftansicht vom Ortsteil Mühlrose

Knapp fünf Jahrhunderte nach seiner ersten urkundlichen Erwähnung wird der Ort Mühlrose im Norden des Landkreises Görlitz voraussichtlich Geschichte sein. Der Braunkohleabbau in der Lausitz hat bereits 137 Orte verschluckt – der letzte Ort, den dieses Schicksal bis Ende 2024 ereilen soll, ist Mühlrose…
 
Der obersorbische Ortsteil der Gemeinde Trebendorf steht praktisch an der Abraumkante. Von drei Seiten ist der Tagebau Nochten bereits an das Dorf heran gerückt und seit Jahren zerreißt die Diskussion um den Abriss des Ortes das Leben seiner Bewohner. Bereits Mitte der 50er Jahre wurde über die Kohle unter Mühlrose berichtet, erste Umsiedlungen bereits ein Jahrzehnt später vorgenommen. 40 Familien waren damals davon betroffen. Die Planung für den Ort sind seit Jahrzehnten geprägt von Unsicherheit: Mal heißt es, Mühlrose könne erhalten bleiben, dann wieder scheint der Abriss beschlossene Sache. Mittendrin die Bewohner des Ortes, deren Leben und Zukunft von Unsicherheit und Zukunftsangst geprägt ist. Viele junge Familien verlassen den Ort, um diesem Dämmerzustand zu entfliehen.  
 
Im März 2019 scheint die Zukunft geklärt: Auf Basis des im Jahr 2013 geschlossenen „Vattenfall-Vertrags“ wird der „Mühlrose-Vertrag“ unterzeichnet. 15 Jahre Hängepartie sollen ein Ende finden und die Mehrheit der Mühlroser entscheidet sich für einen Umzug an den Nordrand von Schleife – dort soll Neu-Mühlrose entstehen.
 
Fährt man heute durch den neuen Ort, wird sichtbar, dass erste Fakten geschaffen wurden: Die Bauplätze in Schleife sind erschlossen, erste Familien haben ihr neues Zuhause gebaut und bezogen. Auch der Spatenstich für die neue Dorfmitte, ein Gemeindehaus, von Mühlrose ist im November des letzten Jahres erfolgt. Neu-Mühlrose wächst langsam und Erinnerungen an den alten Ort wie beispielsweise der Glockenturm und das Kriegerdenkmal werden alsbald ebenfalls an ihrer neuen Heimat aufgebaut.
 
Derweil herrscht auch im „alten“ Mühlrose weiter Leben, aber auch dort sind die Tatsachen inzwischen deutlich sichtbar: Leerstand und Abrissarbeiten, daneben gibt es aber weiterhin auch Familien, die ihre Heimat nicht verlassen wollen. Menschen, die sich nicht vorstellen können, nach Jahrzehnten in ihrer Heimat nochmal neu anzufangen. Deren Erinnerungen und Identität an dem ursprünglichen Mühlrose hängen. Genährt wird diese Hoffnung von Gutachten, die besagen, dass die geschätzt 150 Millionen Tonnen des Braunen Golds nicht mehr benötigt werden – vor allem wenn es zu einem vorgezogenen Kohleausstieg käme. Die LEAG hält indes weiter an ihren Plänen fest und für die allermeisten Mühlroser ist der Umzug in die neue Heimat ein Stück Gewissheit und Sicherheit und das lang ersehnte Ende des Zerriebenseins zwischen den unterschiedlichen Interessen. Aber um Neues zu beginnen, muss Altes losgelassen werden – auch wenn Wehmut, Schmerz und Wut natürlich genauso ihre Berechtigung haben, wie die Sehnsucht nach Sicherheit und die Freude an Neuem.
 
Mühlrose – Ein Ort zerrieben zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Wehmut und Aufbruch.
 
Titelbild: Gunther Tschuch, Mühlrose (Trebendorf, Sachsen, Deutschland), 2019, entnommen von: Wikimedia, CC BY-SA 4.0