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Oberbürgermeister Torsten Pötzsch im Gespräch

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Es ist Herr Pötzsch abgebildet und links neben ihr ist ein rosa Zitat von ihr abgebildet.

Torsten Pötzsch ist seit 2010 Oberbürgermeister der Stadt Weißwasser/Oberlausitz und tritt neben seiner Funktion als Stadtoberhaupt als schier ruheloser Maschinist in Sachen Strukturwandel in seiner Heimat in Erscheinung. Im Interview schildert er seine Sicht auf bisher Geschaffenes und blickt dringend anzugehende Aufgaben.

 

 

Herr Pötzsch, Ende Juli besuchte einer Ihrer Amtskollegen, Jürgen Frantzen, aus dem Rheinischen Revier die Lausitz. Er hat in der Folge in einem Interview mit der SAS nur lobende Worte gefunden. Einerseits betonte er, wie toll inzwischen das Vertrauen und Verständnis der Reviere untereinander ist, aber er lobte vor allem, was in der Lausitz schon gewachsen ist und wie engagiert die Lausitzerinnen und Lausitzer das Thema Strukturwandel angehen. Was ziehen Sie ganz persönlich aus solchen anerkennenden Worten für Ihr Wirken in Weißwasser und wie kann man es schaffen, dass die Menschen in der Lausitz solche Wertschätzung auch spüren?

 

Mein herzlicher Dank für diese Einschätzung geht an unsere Freunde im Rheinischen Revier. Ich schöpfe daraus Kraft (die wir weiter brauchen werden), denn wir stehen erst am Anfang des Zukunftsprozesses der Lausitz zu einer europäischen Modellregion für einen gelungenen Strukturwandel.


Der Blick von außen auf die Lausitz/die Lausitzen ist vielmals ein ganz anderer, ein schönerer, optimistischer, anerkennender, als der von uns Einheimischen. Dies liegt aus meiner Sicht an der noch nicht verarbeiteten Vergangenheit, den Brüchen in vielen Biografien nach der politischen Wende, der Verlust von Arbeit und der eigenen Vergangenheit – die Fabrik ist abgerissen worden, die damalige Neubauwohnung, Kindergarten, Schule, Spielplatz, … sind weg. Solange diese Aufarbeitung nicht erfolgt, können viele Menschen “keinen Frieden finden“ und freier und offener nach vorn schauen. Und vielfach fehlt daher der Glaube, dass mit dem erneuten Abbau von tausenden Arbeitsplätzen in der Braunkohleverstromung diesmal Alternativen und Zukunft geschaffen werden und die Menschen nicht zu Tausenden wieder weggehen müssen – ihre Heimat verlassen müssen.

 

Für eine Zukunft der Lausitz kämpfen speziell die Vertreter/innen der Lausitzrunde (ein Bürgermeister/innen Bündnis aus Brandenburg und Sachsen) seit sechs Jahren. Der Weg bisher war kein einfacher, doch wir glauben und werden alles in unseren Kräften Stehende unternehmen, dass er am Ende erfolgreich sein wird. Wir müssen daher unsere Potentiale und die Vielfalt noch mehr nach vorn stellen, um für die Lausitz zu begeistern.   

 

 

Als Sie im Juni Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zu Gast hatten in Weißwasser/O.L., betonte dieser, dass die Strukturwandelregionen bestenfalls im Austausch miteinander stehen und voneinander lernen – auch über Landesgrenzen hinweg. Haben Sie mal den Blick in andere Regionen Deutschlands geworfen, diese bereist und Eindrücke gesammelt, wie diese Kommunen und Landkreise vorgehen? Wenn ja, was hat Sie dort beeindruckt?

 

Ja, als Lausitzrunde sind wir im stetigen Austausch mit den anderen Kohleregionen. Es gab gegenseitige Besuche, Videokonferenzen, Telefonate und Demonstrationen (vor dem Bundeskanzleramt), um voneinander zu lernen und gemeinsame Ziele im Rahmen des Wandels politischen Nachdruck zu verleihen. Der Austausch, das Verständnis, das persönliche Engagement der Akteure und das Wissen, wir sind hier in einem Boot beeindruckt immer wieder.

 

 

Als Bürgermeister der Stadt Weißwasser/O.L. müssen Sie sich sicherlich täglich mit Fragen und Problemen den Strukturwandel betreffend beschäftigen. Zuletzt war in den Medien sehr viel zu lesen, über das klimaneutrale Vorzeigestadtviertel. Können Sie uns erläutern, was Sie für Weißwasser/O.L. genau hier planen?

 

Dieses “neue“ Stadtviertel soll der Impulsgeber für unsere gesamte Stadt sein. Wir möchten mehrere Dinge im “ZEIT-Quartier“ erreichen. ZEIT steht für Zukunft, Energie, Ideale und Tradition.

 

Dem seit März letzten Jahres ansässigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) wird hier ein „Zukunfts – zu Hause“ geben. Derzeit sind die Mitarbeiter/innen auf vier Standorte in der Stadt verteilt. Das Quartier soll innovativ und zukunftsweisend sein und u.a. universitäre Einrichtungen beherbergen. Es wird ein Arbeits- und Wohnquartier entstehen, was mehr Energie erzeugen soll, als es selbst benötigt. Wir wollen zeigen, wie Freizeit, Arbeit und Wohnen zukunftsorientiert zusammenwirken kann und dies nicht in irgendeiner Großstadt, sondern in einer Kleinstadt im Revier.

 

Wir wollen verschiedene Zukunftsthemen unserer Gesellschaft hier denken und für diese Idee gewinnen wir gerade weitere Partner. Ein spannender Prozess und ein Baustein in der bereits angesprochenen europäischen Modelregion.

 

 

In der ersten Sitzung des Regionalen Begleitausschusses Ende Juni in Weißwasser/O.L., wurden einige Ihrer Vorhaben positiv beschieden. Unter anderem die Sanierung des Bahnhofes in Weißwasser/O.L. und eine Innovationswerkstatt bzw. ein FAB Labor. Was können die Bürger der Region von diesen beiden Vorhaben genau erwarten?

 

Unser Bahnhof an der Strecke nach Berlin ist das Tor in die Region – „UNESCO Welterbe Fürst Pückler Park Bad Muskau“, in den „Kromlauer Park“, zum „Bärwalder See“ und in den „UNESCO Global Geopark Muskauer Faltenbogen“. Diese Dinge sollen u.a. im Bahnhof sichtbar gemacht werden, um den Touristen/innen die Schönheit der Region näher zu bringen. Weitere Inhalte werden gerade in einem Beteiligungsprozess mit unseren Einwohnern/innen erdacht und sollen in das neue Nutzungskonzept einfließen.

 

Die Innovationswerkstatt, geprägt durch Zusammenarbeit mit lokalen Bildungsträgern, schafft einen konkreten Zugang für junge Menschen zu modernen Fertigungstechnologien. Dies ist ein neuer Ansatz bei uns. Wir wollen die Kinder und Jugendlichen bereits vor einer konkreten Bildungsorientierung abholen und eine Zukunftsperspektive zu neuen Berufsfeldern schaffen. Dies wird in die lokale Wirtschaft wirken. Wir werden somit Bildungspotentiale für moderne Technologien aufzeigen, um für technische Berufe zu begeistern und somit den Nachwuchs in diesen Firmen sichern und der Jugend bewusst die Bleibepotentiale in der Heimat aufzeigen.

 

 

Durch die verheerende Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist der Klimawandel wieder in aller Munde. Ministerpräsident Michael Kretschmer reagierte sofort und erklärte, an den Plänen bis 2038 festhalten zu wollen. Wie stehen Sie zu den großen Themen „Strukturwandel“ und „Klimawandel“?

 

Um den Prozess des Strukturwandels erfolgreich abzuschließen, braucht es Verbindlichkeit. Dies wurde mit dem “Kohlekompromiss“ und den folgenden Gesetzen erreicht. Das Jahr 2038 steht hier fest. Auch wenn schon erste Themen, wie die Mitteldeutschland-Lausitz-Trasse (Milau) mit einem Federstrich vor einigen Tagen verschwanden, darf so nicht Strukturwandelpolitik in der Lausitz aussehen. Das stimmt mich traurig und ich kann die Menschen sehr gut verstehen, die dann meinen persönlichen Optimismus hier nicht teilen können. Der Klimawandel ist nicht nur der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, sondern hat viele Gesichter. Wir brauchen Zeit für unsere Neuausrichtung.

 

 

Im Zusammenhang mit dieser Diskussionen war auch in einigen Berichten darauf verwiesen worden, dass die Lausitz zunehmend mit Wasserknappheit zu kämpfen hat – auch, weil es unheimlich schwierig ist, die Gebiete, in denen die Kohle ehemals abgebaut worden ist, wieder so zu renaturieren, dass Wasser gespeichert werden kann in der Erde. Spielt das Thema Wasser in Ihren Strukturwandel-Ideen auch eine Rolle? Und wenn ja, welche?

 

Ja, dieses Thema beschäftigt uns mit unseren Stadtwerken und dem hier agierenden Wasserzweckverband „Mittlere Neiße-Schöps“. Speziell die Trinkwasserversorgung der Menschen und der Unternehmen steht derzeit im Fokus und dies größer gedacht mit weiteren Regionen der Lausitz. Das Thema Wasserressourcen wird in unserem Zukunftsthemenpark eine wichtige Rolle spielen, denn es ist eines der Zukunftsthemen und dies nicht nur für die Lausitz. 

 

 

Ein weiteres Thema, das zuletzt immer mal in der Lausitz aufgetaucht ist, ist das Thema Carbon. Das Kraftwerk Boxberg/O.L. wurde in diesem Zusammenhang als möglicher Produktionsstandort genannt, aber es wurde auch die Vision gezeichnet, in der Lausitz von der Grundlagenforschung bis zur endgültigen Verarbeitung sämtliche Teilbereiche anzusiedeln. Werden wir das auch in Weißwasser/O.L. in irgendeiner Form 2038 wiederfinden?

 

Boxberg/O.L. ist unsere östliche Nachbargemeinde und wir brauchen Innovationen. Wenn es gelingt nicht nur zu forschen, sondern auch die Ergebnisse dann in die Praxis zu überführen und die Produktion dazu hier aufzubauen bis hin zur Frage, wie ich das Carbon in die Kreislaufwirtschaft nach Gebrauch wieder einbringe, ist das auf jeden Fall ein Thema der Zukunft, auch für uns.

 

Dieses Projekt ist für mich ein Beispiel für den richtigen Strukturwandelweg. Gern mehr davon dahin, wo die Menschen leben, die heute im Tagebau und Kraftwerk arbeiten. Speziell Kraftwerksstandorte könnten nach dem Beispiel Schwarze Pumpe zu Industrieparks mit Themenschwerpunkten entwickelt werden. Wir werden das Themen Carbon und Leichtbauwerkstoffe hier in unserer Region bereits vor 2038 wiederfinden.

 

 

Neben Arbeitsplätzen in der Industrie spielen für die Lausitz auch Arbeitsplätze im Tourismus eine enorme Rolle. Während es bis 2019 die Deutschen in den Sommerferien zumeist in ferne Länder gezogen hat und die Flughäfen rappelvoll waren, sind 2020 und 2021 – bedingt durch Corona – die innerdeutschen Urlaubsgebiete nahezu ausgebucht. Ist dieser Boom, „Urlaub in Deutschland 2.0“ wie es immer mal genannt wird, in der Lausitz auch spürbar?

 

Ja, gerade im Übernachtungsgewerbe ist das spürbar. Unser Wohnmobilstandort erfreut sich großer Beliebtheit und wenn ich mit Gästen spreche, sind diese schier von der Lausitz begeistert. Die verschiedensten Landschaften (Berge, Heide, Wälder, Teiche und Seen), historische Orte, unsere Geschichte und die neuen Herausforderungen beeindrucken und daher ist und wird der Tourismus ein Baustein unserer Zukunft sein. Das Schöne daran ist, dass wir auf diese Vielfalt aufsetzen können.


Wichtig ist hier eine noch stärkere Vernetzung der Akteure und eine gemeinsame Ausrichtung und ein fließender Übergang an der Landesgrenze zu Brandenburg. Ein aktuelles Beispiel ist die Radwegebeschilderung. In Brandenburg wurde ein Knotenpunktsystem installiert und in Sachsen nicht. Wir arbeiten gerade daran, dass dieses in Sachsen weitergeführt wird. Eigentlich müssten solche Dinge selbstverständlich sein, dass die Lausitz/die Lausitzen gesamt gedacht werden.

 

Ich bin immer stolz, Gästen diese Vielfalt und auch Gegensätze (aktiver Tagebau und wenige Kilometer weiter besondere Parklandschaften zu zeigen). Wie formulierte vor einigen Jahren der Präsident der Gesellschaft, welche im spanischen Bilbao den Wandlungsprozess leitete und in Weißwasser/O.L. einen Vortrag darüber hielt: „Das ist hier bei Ihnen, wie eine Reise in die Vergangenheit (besichtigte den Muskauer Park), in die Gegenwart (besichtigte den Tagebau Nochten) und in die Zukunft (besichtigte den Bärwalder See).“

 

 

2038 soll die Kohleverstromung endgültig enden. Bestenfalls ist dann auch der Strukturwandel erfolgreich vollzogen. Wenn Sie sich die Lausitz vor Ihrem inneren Auge vorstellen, wie sieht sie 2038 aus? Welches Bild würden Sie zeichnen?

 

Eine pulsierende Region mit vielen, speziell jungen Menschen, die an den Zukunftsthemen der Menschheit arbeiten. Die Lausitz als die Region in Europa, die es geschafft hat, den Transformationsprozess so umgesetzt zu haben, dass sie als Vorbild für andere Kohleregionen und Strukturwandelthemen steht und sich Menschen aus aller Welt hier das Ergebnis dieses Erfolges anschauen kommen. Ich sehe Menschen, die nicht mehr wegen der Arbeit wegziehen müssen, sondern stolz sind, hier zu leben. Die Lausitz steht als wahre enkeltaugliche Region. Es wird überall neben dem Bilbao-Effekt vom Lausitz-Effekt gesprochen. So stelle ich mir das vor.

 

 

Vielen Dank, Herr Pötzsch, für das Interview!

 

 

Bildnachweis: Portraitbild Torsten Pötzsch © Lausitz Energie Kraftwerke AG (LEAG), Foto: Andreas Franke; entnommen mit freundlicher Genehmigung seitens der LEAG von: https://www.leag.de/de/seitenblickblog/artikel/doppelte-chance-fuer-die-lausitz/