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Staatsminister Schmidt im Interview
Wenn Thomas Schmidt, seines Zeichens Staatsminister für Regionalentwicklung, im Jahr 2038 seinen 77. Geburtstag feiern wird, möchte er die ehemaligen Braunkohlereviere Sachsens als erfolgreiche und gestaltungsfreudige Regionen vorfinden. Im Interview haben wir mit Ihm hierüber sinniert und den Weg dorthin skizziert…
Herr Staatsminister, das Jahr 2021 neigt sich langsam dem Ende entgegen. Im Sinne des Strukturwandels war es durchaus ein bewegtes Jahr. Nach dem zähen Ringen um die gesetzlichen Voraussetzungen und ersten bewilligten Projekte 2020 konstituierten sich die Regionalen Begleitausschüsse (RBA) in den beiden Revieren und konnten ihre Arbeit aufnehmen. Was waren aus Ihrer Sicht die Meilensteine des Jahres? Was lief gut und wo sehen Sie noch Nachbesserungsbedarf?
Die Regionalen Begleitausschüsse sind einer der vielen wichtigen Meilensteine, die wir im zurückliegenden Jahr für die Strukturentwicklung erreicht haben. Bereits vorher haben wir im vereinfachten Verfahren erste Maßnahmen beschlossen, die sogenannte 3×7 Liste. Wir haben mit dem Handlungsprogramm die wesentlichen Handlungsfelder für die Strukturentwicklung abgesteckt und uns mit dem Bund über die Bundesprojekte geeinigt, vor allem im Bereich der Infrastruktur, der Ansiedlung von Behörden und Forschungseinrichtungen. Der Startschuss für die beiden Großforschungseinrichtungen in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier ist dabei besonders hervorzuheben.
Wir haben auch unsere Landesrichtlinie für die Förderung nach dem Infrastrukturgesetz des Bundes überarbeitet und deutliche Verbesserungen für die Kommunen umgesetzt. In den Haushaltsverhandlungen konnten wir die Einrichtung eines Sondervermögens erreichen und damit den finanziellen Beitrag des Freistaates absichern. Die Gründung der SAS und die ersten beiden Verfahrensdurchläufe der Regionalen Begleitausschüsse fallen auch in die zurückliegenden Monate. Für das Bundesprogramm STARK wurden mehr als 100 Anträge eingereicht, die wir teilweise schon mit einem positiven Votum an den Bund weiterleiten konnten.
Gegenwärtig arbeiten wir intensiv am Verfahren zur Umsetzung des Just Transition Fund, des europäischen Förderprogramms zur Bewältigung des Strukturwandels. Wir wollen damit vor allem Unternehmen unterstützen.
Gleichzeitig – und das ist mir besonders wichtig – haben wir die ersten Förderbescheide ausgereicht und damit konkrete Projekte auf den Weg gebracht. Darunter sind eine Machbarkeitsstudie für InnoCarbEnergy, ein Zentrum zur Entwicklung „grüner“ Carbonfasern in Boxberg sowie der Ausbau und die Inbetriebnahme des Fraunhofer Hydrogen Lab Görlitz (HLG) als gemeinsame Forschungsplattform.
Das alles gelang uns vor dem Hintergrund der Pandemie und trotz der Tatsache, dass wir gleichzeitig das neue Ministerium aufbauen mussten. Trotz dieser besonderen Herausforderungen haben wir alle Termine gehalten und waren häufig sogar die ersten unter den Braunkohleländern. Das ist eine Leistung, die sich sehen lassen kann und ich bin allen Beteiligten dankbar, die dabei mit an einem Strang gezogen haben – beim Bund, in der Verwaltung, aber auch bei den Kommunen.
Nachbesserungsbedarf sehe ich bei der Umsetzungsreife der Projekte, daran müssen wir alle gemeinsam arbeiten. Insgesamt hat sich das Verständnis innerhalb der Reviere positiv entwickelt, es könnte aber durchaus noch wachsen. Ich bin mir aber sicher: das gesamte Verfahren ist zwar für alle Beteiligten noch neu, es wird sich aber schon bald bei allen Akteuren eine hohe Akzeptanz entwickeln.
Im Lausitzer Revier passierten insgesamt 51 Projekte die beiden Sitzungen des RBA mit einem positiven Votum, im Mitteldeutschen Revier gelang dies 24 Vorhaben. Das klingt danach, dass der Strukturwandel angeschoben werden konnte, aber die Menschen in den Regionen haben trotzdem die Sorge, der Strukturwandel könne misslingen. Wie begegnen Sie diesen Ängsten?
In den vergangenen Monaten bin ich sehr oft vor Ort in den Revieren gewesen und habe mit ganz unterschiedlichen Menschen gesprochen. Deshalb kann ich die Sorgen nachvollziehen. Mir ist es aber sehr wichtig, nicht nur den Blick zurück zu wenden, sondern die Chancen zu sehen, die vor uns liegen. Die Betroffenheit der Orte, die sich unmittelbar an den heutigen Tagebauen oder Kraftwerken befinden, haben wir im Blick. Sie stehen zweifelsohne vor besonderen Herausforderungen. Darum sind wir jederzeit gesprächsbereit, um die in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen konstruktiv zu erörtern.
Die SAS hat ihre Arbeitsfähigkeit erreicht, nun müssen die Projekte auch tatsächlich gestartet werden. Die Maßnahmen des Strukturwandels werden wir auf strategische Schwerpunkte ausrichten. Dafür sind für das Jahr 2022 schon regionale Workshops vereinbart. Wir wollen künftig gemeinsam die schon bestehenden Kompetenzen und Stärken weiterentwickeln. Um die bereits vorhandenen Kerne herum sollen neue technologische Entwicklungen angestoßen werden und damit gut bezahlte Arbeitsplätze für die jüngere Generation entstehen. Wichtig ist uns auch die enge Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn. Mit Brandenburg haben wir erst vor kurzem eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, eine ähnliche Kooperationsvereinbarung mit Sachsen-Anhalt steht kurz vor dem Abschluss. Damit können wir die Entwicklung in der Lausitz und in Mitteldeutschland gemeinsam und länderübergreifend vorantreiben.
Gerade die Lausitz galt in den letzten Jahrzehnten als Energiemotor – erst in der „DDR“, aber nach der Wiedervereinigung auch Gesamtdeutschlands. Wenn man die Medienlandschaft verfolgt, kann man leider den Eindruck bekommen, das Glas ist beim Thema Strukturwandel eher halb leer, denn halb voll, obwohl es für die Region eine einzigartige Chance ist, die Zukunft der eigenen Heimat mit zu gestalten und zu prägen. Lukas Rietzschel, Bestseller Autor und aus der Region stammend, strahlte im Interview mit uns einen erfrischenden Optimismus zum Thema Strukturwandel aus und sagte, dass der Schlüssel zu einem erfolgreichen Strukturwandel die Jugend und ihre Ideen sein können. Wie sehen Sie das?
Nur wenn sich die Lausitz und Mitteldeutschland als Zukunftsregionen verstehen und dies auch selbstbewusst nach außen tragen, wird der Wandel gelingen. Der Staat – ob der Bund oder der Freistaat – kann diesen Prozess nur unterstützen. Die Menschen bleiben nur dann in der Region, oder ziehen dort hin, wenn eine positive Grundstimmung in der Region herrscht. Dazu sind die Voraussetzungen da oder werden durch viele gute Projekte für die Strukturentwicklung geschaffen. An vielen Orten ist bereits eine Aufbruchsstimmung deutlich spürbar – andere können da noch nachziehen.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist festgelegt, dass der Kohleausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorgezogen werden soll. Diese Verkürzung der Ausstiegsfrist sorgt für Unverständnis und Unruhe bei den Betroffenen. Wie wollen Sie mit dem Problem umgehen?
Hierzu ist zunächst voranzustellen, dass im Koalitionsvertrag eine Zielformulierung ausgegeben ist. Die abschließende Prüfung und Willensbildung seitens der neuen Bundesregierung steht aber noch aus. Wie Sie dem Koalitionsvertrag entnehmen konnten, plant die neue Bundesregierung, die erstmals für das Jahr 2026 vorgesehene Überprüfung der vorzeitigen Stilllegung auf das Jahr 2022 vorzuziehen. Erst wenn das Ergebnis dieser Überprüfung vorliegt, kann hierzu eine sachliche Bewertung erfolgen. Sollte es zu einem Vorziehen der Ausstiegsfrist kommen, würde dies die Reviere vor enorme Herausforderungen stellen. Darum wird das äußerst kritisch gesehen. Unabhängig davon bereiten wir uns aber auf die entsprechenden Diskussionen vor. Wichtig ist, dass neben dem energiepolitischen und dem sozialen Aspekt für einen früheren Braunkohleausstieg vor allem auch die strukturpolitischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Hier geht es im Kern um die Frage, ob es gelingt, die Maßnahmen und Verfahren so zu beschleunigen, dass bereits deutlich früher als 2038 neue Arbeitsplätze und Wertschöpfung in den Revieren entstanden sind. Nur dann wäre ein früherer Ausstieg für die betroffenen Regionen zumutbar.
Weihnachten und Jahreswechsel sind selbstverständlich immer die Zeit, auf das vergangene Jahr zurückzublicken, aber auch nach vorne zu schauen, Wünsche zu äußern. 2038 ist zwar noch eine Weile hin, aber welches Bild würden Sie von den beiden Revieren zeichnen, wenn Sie sich vorstellen, 2038 durch die beiden Reviere zu radeln oder zu spazieren?
2038 werde ich 77 Jahre alt sein und hoffentlich noch so gesund und fit, dass ich durch die beiden Reviere radeln und mich an dem Erreichten erfreuen kann. Ich möchte dann Regionen sehen, in denen die Menschen gerne leben, erfolgreich arbeiten und ihre Zukunft gestalten. Aber zunächst wünsche ich allen Leserinnen und Lesern eine gesegnete Weihnachtszeit und ein gesundes neues Jahr – in diesen Zeiten ganz besonders!
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Staatsminister Schmidt!