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Jörg Huntemann im Interview
Jörg Huntemann leitet seit dem 1. September 2021 die Abteilung Strukturentwicklung im Sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung und übt gleichzeitig die Funktion des Beauftragten für die Lausitz und die Region Leipzig aus. Mit ihm haben wir über Herausforderungen und Chancen gesprochen…
Herr Huntemann, Sie haben im September 2021 die Abteilung 3 im Sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung und damit auch die Funktion des Beauftragten für Strukturentwicklung in der Lausitz und der Region Leipzig, von Dr. Stephan Rohde übernommen. Zuvor waren Sie als Referatsleiter im Referat 32 (Beziehungen zu Bund und Ländern, Programmerstellung und -fortschreibung) tätig. Wie ist Ihr Start verlaufen und was sind Ihre aktuellen Aufgaben?
Die Strukturentwicklung in den Braunkohleregionen ist eine Aufgabe, die im besonderen Fokus der Bürgerinnen und Bürger sowie der Öffentlichkeit steht und mit hohen Erwartungen verbunden ist. Über die bisherige Referatsleitung bin ich mit dieser Aufgabe bereits tief verbunden und habe daher die Leitung der Abteilung Strukturentwicklung von Herrn Dr. Rohde sehr gerne übernommen. Vor allem dank der Unterstützung meines Teams hatte ich einen guten Start und freue mich auf die weiteren Herausforderungen, die noch bevorstehen. Die Unterstützung der bereits ausgewählten Projekte bis zur Bewilligung und auch der mögliche nochmals vorgezogene Kohleausstieg werden hierbei in der nächsten Zeit im Zentrum der Arbeit stehen. Die Regionalen Begleitausschüsse mit den Vertretern aus der Region und die Kommunen sind dabei unsere wichtigsten Ansprechpartner vor Ort.
Viele der Akteure in den Revieren haben eine besondere Verbundenheit zu ihrer Heimat oder auch zum Tagebau und bringen sich deshalb engagiert in den Prozess des Strukturwandels ein. Was treibt Sie an, den Strukturwandel erfolgreich zu gestalten und wo sehen Sie den Schwerpunkt Ihrer künftigen Arbeit?
Jeder der die beiden sächsischen Braunkohlereviere kennt, weiß um die zupackende Art der Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten Herausragendes geleistet haben. Sie haben die Energieversorgung des ganzen Landes gesichert und nach der friedlichen Revolution bereits einen beispiellosen Strukturwandel bewältigt. Diese Leistungen, die wir alle anerkennen, treiben mich besonders an. Mir ist es hierbei vor allem wichtig, dass wir die Bundes- und Landesmittel bestmöglich einsetzen und damit neue Perspektiven schaffen.
Strukturwandel gelingt aber nur gemeinsam mit vereinten Kräften und vor allem mit der Initiative der Menschen vor Ort. Denn hier brauchen wir nicht nur Geld, Gesetze und Förderrichtlinien, sondern vor allem auch Ideen und Ausdauer bei deren Umsetzung. Oberstes Ziel unserer Tätigkeit ist es, Regionen mit hochwertigen Arbeitsplätzen und einer hohen Lebensqualität zu schaffen.
Nun ist der Strukturwandel nicht nur ein großer Begriff, sondern vor allem eine gewaltige Aufgabe, in die verschiedene Akteure eingebunden sind. Da ist einerseits das Staatsministerium für Regionalentwicklung (SMR), dem sie angehören, aber da sind auch die Sächsische Aufbaubank (SAB), die Sächsische Agentur für Strukturentwicklung (SAS) und natürlich auch die Projektträger und Menschen vor Ort. Wie stellen Sie sich ganz persönlich hier das Arbeiten – sowohl strategisch, als auch operativ – für den Strukturwandel vor?
Als gemeinschaftliche Aufgabe ist es wichtig, immer wieder mit allen Akteuren zu sprechen und diese einzubeziehen. Dazu sind wir oft in den Revieren unterwegs, sowohl Herr Staatsminister Schmidt, Herr Staatssekretär Dr. Pfeil und auch wir als Vertreter der Abteilung. Leider sind diese persönlichen Treffen in der jetzigen Situation jedoch deutlich schwieriger geworden – eine Videokonferenz kann ein persönliches Gespräch nie ersetzen.
Umso wichtiger ist es, gegenseitig Geduld und Verständnis aufzubringen, bis das operative Geschäft wieder einigermaßen normal läuft. Aber auch die Ansprechpartner der SAS, die dauerhaft vor Ort sind, sind in der jetzigen Situation damit umso wichtiger. Sie stehen den Bürgern, Kommunen sowie Unternehmen zur Verfügung und sind als Förderlotsen für die Menschen vor Ort ein wichtiger Partner. Ebenso arbeiten wir eng mit der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank – (SAB) zusammen, bei der dann für die ausgewählten Projekte die Förderanträge gestellt und bearbeitet werden.
Gemeinsam haben wir einen guten Prozessablauf entwickelt: von der Projektentwicklung und -qualifizierung über die Beteiligung, Bewertung und Auswahl bis hin zur Genehmigung und zum Förderverfahren. Vor allem aber brauchen wir den Mut und die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger vor Ort, den Wandel aktiv mitzugestalten. Dafür wird es ein Verfahren der Bürgerbeteiligung geben, das unser Haus gerade vorbereitet.
Die beiden Reviere enden ja nicht an den Landesgrenzen Sachsens, sondern der Strukturwandel in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier findet auch in Sachsen-Anhalt und Brandenburg statt. Stehen Sie mit Ihren Kollegen in diesen beiden Bundesländern im Austausch? Und tauschen Sie sich auch mit den Kollegen in Nordrhein-Westfalen aus, die ja ebenfalls im Prozess des Strukturwandels aktiv sind? Welche Stimmung spüren Sie in den Regionen?
Mit allen Braunkohleregionen Deutschlands stehen wir in einem sehr engen und regelmäßigen Austausch. Dies begann bereits mit der Einsetzung der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB) im Jahr 2018 und wurde über den gesamten Gesetzgebungsprozess der Jahre 2019 und 2020 hinweg fortgeführt. Auch nach der Verabschiedung des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) haben wir den intensiven und kooperativen Aus tausch zwischen den vier Braunkohleländern beibehalten. Die Palette der Themen reicht von Fragen zum Vollzug des Gesetzes über die Planung von länderübergreifenden Projekten bis hin zum partnerschaftlichen Austausch von Best-Practice-Ansätzen.
Dabei gibt es die unterschiedlichsten Gesprächsformate. Alle vier Kohleländer sind – ebenso wie die betroffenen Bundesressorts – im Bund-Länder-Koordinierungsgremium vertreten. Hier werden förmliche Beschlüsse zum Vollzug des InvKG gefasst sowie zu denjenigen Maßnahmen, die der Bund in eigener Zuständigkeit in den Braunkohleregionen umsetzt. Neben diesem offiziellen Gremium gibt es auf der Arbeitsebene der für die Strukturentwicklung zuständigen Organisationseinheiten regelmäßige Telefonkonferenzen. Zudem haben sich die vier Braunkohleländer und Vertreter des auf Bundesseite für die Strukturentwicklung federführenden BMWi in den vergangenen drei Jahren zu Vor-Ort-Erfahrungsaustauschen, zuletzt im Rheinischen Revier, getroffen.
Naturgemäß ist die Zusammenarbeit mit unseren beiden Nachbarländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt noch einmal deutlich intensiver als mit Nordrhein-Westfalen, weil wir jeweils durch ein gemeinsames Revier verbunden sind. Deshalb haben wir uns bereits bei der Erarbeitung der Revierleitbilder sehr eng abgestimmt. Die Revierbeauftragten der Länder tauschen sich jeweils in regelmäßigen Jour fixen zu revierspezifischen Fragen aus. Ein Meilenstein der Kooperation im Lausitzer Revier war die Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung zwischen Brandenburg und Sachsen am 29. November 2021 durch Frau Ministerin und Chefin der Staatskanzlei Schneider und Herrn Staatsminister Schmidt. Eine vergleichbare Kooperationsvereinbarung mit Sachsen-Anhalt zur Zusammenarbeit im Mitteldeutschen Revier steht kurz vor der Unterzeichnung.
Im Juni und November 2021 fanden die ersten beiden Regionalen Begleitausschüsse (RBA) in beiden Revieren statt. Wie nehmen Sie den bisherigen Prozess wahr?
Zunächst freut es mich sehr, dass wir bereits gemeinsam zwei Sitzungen der Regionalen Begleitausschüsse in beiden Braunkohlerevieren durchführen konnten, und damit bis Ende 2021 schon insgesamt 110 Projekte für den Strukturwandel in den beiden Braunkohlerevieren auf den Weg bringen konnten. Dadurch konnten wir im Freistaat Sachsen bereits die ersten Bewilligungen erreichen und sind damit auf einem sehr guten Weg.
Selbstkritisch ist zugleich zu sagen, dass die ersten beiden Verfahrensdurchläufe auch noch die Schwierigkeiten sowie einigen Klärungsbedarf aufgezeigt haben, weshalb die Bezeichnung von Herrn Staatsminister Schmidt als „lernendes System“ den Prozess sehr zutreffend beschreibt. Wir werden uns auch hier gemeinsam mit allen Akteuren weiter eng abstimmen und haben erste Veränderungen im Verfahren bereits vorgenommen.
Mancherorts herrscht eine gewisse Skepsis. Einerseits, dass die Bürokratie um das Thema zu groß sei und die Gelder falsch eingesetzt würden. Andererseits, dass der Strukturwandel nicht gelingen könnte und den Menschen vor Ort dann die Perspektiven fehlen. Was können Sie diesen Sorgen entgegnen?
Diese Sorgen sind sehr nachvollziehbar, denn die Menschen haben in den 90er Jahren einen gewaltigen Strukturbruch bewältigt. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der Strukturentwicklung und auch den zukünftigen Bedarf an Arbeitskräften, der noch erheblich ansteigen wird, sehe ich zugleich aber vor allem auch die Chance, die jeder Wandel und jede Veränderung beinhaltet. Der Strukturwandel gibt uns hierbei die Möglichkeiten, zu gestalten und neue Perspek tiven zu entwickeln.
Im Mitteldeutschen Revier liegt mit Leipzig eine wachsende und durchaus auf das Re- vier ausstrahlende Metropole. In der Lausitz ist das nicht der Fall. Das ist ein einzelner, durchaus aber markanter Unterschied von vielen. Wo sehen Sie die Charakteristiken der beiden Regionen und wie stellen Sie sich die beiden Regionen 2038 vor?
Mit dem Lausitzer und dem Mitteldeutschen Revier liegen in Sachsen zwei der größten Braunkohleregionen Deutschlands. Zwei Regionen die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Die Lausitz steht aktuell für Wandel, Entwicklung und Erneuerung. Hier sind neue Konzepte gefragt, wie die Lausitz als Energie- und Industrieregion mit ihren hochwertigen Industriearbeitsplätzen erhalten werden kann. Ich sehe die Lausitz auch zukünftig als Energieregion, und ebenso als Europäische Modellregion für Klimaschutz und nachhaltiges Wachstum. Unser gemeinsames Ziel sind hierbei vor allem gut bezahlte Arbeitsplätzen in Industrie und Energie. Um dieses zu erreichen wollen wir vor allem in den Bereichen der Forschung und Entwicklung sowie der infrastrukturellen Anbindung ansetzen. Erstes dient als Motor für ansässige und interessierte Unternehmen, die von den neuen Erkenntnissen profitieren können. Dieses verbunden mit der Anbindung der Lausitz über die Schnellzugverbindung an den Großraum Berlin eröffnet die besagten Chancen und Möglichkeiten. Zudem ist die Lausitz mit ihrer Seenlandschaft ein neuer Anziehungspunkt auch für den Tourismus.
Das Mitteldeutsche Revier dagegen ist auf Grund starker anderer ansässiger Wirtschaftszweige wie Logistik und Automobilbau, Optik und Mikroelektronik sowie Biotechnologie und chemische Industrie insgesamt unabhängiger von der Braunkohleindustrie als die Lausitz. Im Gegensatz zu vielen anderen Gebieten im Osten Deutschlands ist dieser Teil Mitteldeutschlands stark urbanisiert und hat immer wieder von den Ausstrahlungseffekten seiner Industriezentren profitiert. Das Mitteldeutsche Revier ist mit den vielen innovativen klein- und mittelständigen Unternehmen und der Ansiedlung von großen, internationalen Industrieunternehmen schon heute ein wesentlicher Bestandteil deutscher Industriestandorte. Daran wollen wir auch in Zukunft weiter anknüpfen, bestehende Wertschöpfungsketten stärken und neue etablieren.
Wir stehen mit der Strukturentwicklung noch am Anfang eines langen Weges und ich freue mich sehr, auf diesem Weg meinen Beitrag zum Gelingen des Strukturwandels leisten zu dürfen.
Vielen Dank, Herr Huntemann, für das Gespräch.